Donnerstag letzte Woche war der Startschuss für die Ausstellung „Pressefoto Bayern 2020“ im Museum Industriekultur. Ich durfte im Namen des Bayerischen Journalistenverbandes (BJV) die Ausstellung eröffnen, die dieses Jahr im Rahmenprogramm des Nürnberger Fotofestivals stattfindet, welches das Motto hat: „facing reality“.
Dieses Motto hatte ich auch zum Anlass genommen, „den Tatsachen ins Auge zu blicken“ und bei meiner Ansprache die Situation der Pressefotografie zu schildern. Ich habe erzählt, dass festangestellte Fotografen, die ein Medienhaus verlassen, nicht mehr ersetzt werden, dass freie Fotojournalist*innen kaum noch von Redaktionen beauftragt werden. Dass Bilder häufig aus kostenlosen Quellen ohne jeden journalistischen Anspruch kommen, wie Behörden, Firmen oder Parteien und dann als „Foto: PR“, „FFW“ oder „privat“ oder überhaupt nicht gekennzeichnet sind.
Oft wird ein Artikel nur noch mit Symbolfotos „bebildert“. Als ein Beispiel für die Verwendung dieser „Symbolfotos“ habe ich meine Lokalzeitung genannt, die im Frühjahr den Text zur Situation über öffnende Schulen in unserem Landkreis mit einem Stockfoto aus Südostasien „bebilderte“. Es zeigte eine Klasse asiatischer Kinder in kurzen Hosen, barfuß in einem offenen Raum ohne Fenster an Schultischen, die bei uns nicht genehmigt wären. Jedenfalls zeigte es nichts, was mit Schulöffnungen in Franken zu tun hatte.
Ich habe Bezug auf eine Studie zum Bildermarkt von Prof. Lars Bauernschmitt von der Hochschule Hannover genommen, in der herauskam, dass 65% der freien Kolleg*innen Angst um ihren Job haben und dass das Einkommen freier Fotojournalist*innen in der Pandemie laut einer Umfrage des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) von durchschnittlich 2260 Euro auf nur noch 560 Euro gefallen ist. Eine Erwähnung dieser Aussagen zur Situation des Fotojournalismus fand in den berichtenden Medien leider nicht statt.
Voller Erwartung, wie das Nürnberger Fotofestival auf die Situation der Fotografie eingeht, habe ich am Montag die Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wie geht es uns? Fotograf*innen in der Corona-Pandemie“ in der Katharinenruine in Nürnberg besucht. „Wie geht es uns?“ Wen interessiert das? Die Medien schon mal nicht (s.o.). Die Interessenten des Fotofestivals scheinbar auch nicht. Ich zählte 15 Besucher in der Veranstaltung. In erster Linie mir bekannte Fotografen.
Dabei war das Podium um Moderator Matthias Dachwald, Leiter des Kunsthauses Nürnberg, gut besetzt: James (Jim) Edward Albright Jr, Pressefotograf der Fränkischen Landeszeitung Ansbach; Heinrich Völkel, Fotograf und Mitglied der Berliner Fotografenagentur Ostkreuz; sowie Michaela Handrek-Rehle, freie Fotografin aus München, u.a. für die Nachrichtenagentur Reuters tätig.
In einer ersten Runde wurden die drei Teilnehmer nach ihren persönlichen Erfahrungen in Sachen Coronazeit gefragt. Michaela Handrek-Rehle erzählte von kleinen Unternehmern, die sie in dieser Zeit fotografiert und deren geschildertes Schicksal ihr geholfen hatte. So kam sie selbst besser zurecht mit der Belastung durch „home-schooling“ und ihre eigene gesundheitliche Betroffenheit.
„Ein Teil der Pressefreiheit geht verloren, es wurde alles reguliert, so durften z.B. gerade mal zwei Fotografen zur Söder Pressekonferenz, drei zu den Fußballspielen. Ich befürchte, dass da manches beibehalten wird.“
Michaela Handrek-Rehle
Heinrich Völkel freute sich zuerst über die persönliche Art der „Entspannung“ im ersten Lockdown, bevor der Frust kam und schaute gleichzeitig neidisch auf die jungen Kolleg*innen der Agentur, die, ohne eigene Familienzwänge, einfach raus gingen und fotografierten.
„Die Coronakrise war ein ‚Gedankenbeschleuniger‘“
Heinrich Völkel
Jim Albright schilderte die schwierige Arbeit in der Lokalzeitung.
„Wir hatten in der Redaktion keine Kurzarbeit, wir mussten sehr kreativ sein, um die Zeitung jeden Tag zu füllen. Aber für die Freien war es richtig hart: Keine Sportveranstaltungen, keine Konzerte, keine Feste, also: kaum Aufträge“
Jim Albright
„Fotografie ist Kulturübergreifend, man muss keine bestimmte Sprache sprechen, um ein Bild zu verstehen. Ein Bild gilt weltweit.“
Matthias Dachwald
Ein weiterer Gesprächspunkt war die Zukunft der journalistischen bzw. Dokumentarfotografie. Dachwald schilderte das unglaubliche „Wachstum des Bildermarktes“, wenn man es nur nach täglicher Anzahl der Bilder betrachtet und verdeutlichte gleichzeitig den extremen Wertverfall des einzelnen Bildes.
Durch Regulierungen, DSGVO und Urteile hat es die Dokumentarfotografie schwer. Das alltägliche Zeitgeschehen, so wie wir es aus den Blütezeiten des Fotojournalismus kennen, wird eher nicht mehr abgelichtet. Wo geht die Reise hin? Er fragte, ob wir durch die sozialen Medien nur noch stylische Selfies haben. Heinrich Völkel befürchtet, dass die Historiker der Zukunft die Selfies der Instagramer, so sie denn erhalten bleiben, als Abbild des wahren Lebens unserer Zeit ansehen werden. Er schlug vor darüber nachdenken, wie wir es möglich machen können, auch weiter das „Wahre Leben“ abzubilden.
Auch Michaela Handrek-Rehle unterstützte ihn, die Arbeit in der Reportage würde immer schwerer. Im Stadion oder beim „public viewing“ würde schliesslich keiner eine Einverständniserklärung unterschreiben. Jim Albright meinte, dass er früher mutiger war beim Arbeiten. Er würde sich den Mut zum Foto oft wieder wünschen.
Völkel erwähnte noch den Britischen Magnum Fotografen Martin Parr. Dieser könne die Bilder aus Britischen Seebädern, mit denen er berühmt wurde, in Europa so nicht mehr machen, deshalb fährt er nun an die Strände Brasiliens, wo die abgebildeten Menschen noch toleranter sind. Völkel hoff, dass sich die Menschen irgendwann an den zahllosen Fotos der „Instagram-Hotspots“ satt gesehen haben und wieder offen werden für anderes. Gleichzeitig empfahl er Fotograf*innen andere Möglichkeiten zu finden, ihre Bilder dem Publikum zu zeigen. So wie bisher, über Zeitungen und Zeitschriften, die immer dünner und belangloser werden, sei es nicht mehr zu bewerkstelligen.
„Wir sollten unsere Dienste der Gesellschaft offensiver anbieten, die bildinteressierten Menschen würden es schätzen“
Heinrich Völkel
Infos zum derzeit noch laufenden Fotofestival Nürnberg „facing reality“
Infos zur Freien-Umfrage des DJV 2021 in Sachen Corona
Weitere Bilder vom Fotofestival: